Lieber Kunde, Du Arschloch – der schmale Grat zwischen Dialog und Diffamierung im Community Management

Lieber Kunde, Du Arschloch – der schmale Grat zwischen Dialog und Diffamierung im Community Management

Gutes Community Management ist seit Jahren eine hervorragende Möglichkeit, um einen positiven Eindruck in der Zielgruppe zu hinterlassen. Der Schlüssel zu einem sympathischen Auftritt liegt hier in einem emphatischen Dialog. Der Community Manager muss in der Lage sein das Anliegen eines Nutzers genau zu erfassen und seine Ansprache so zu spiegeln, dass dieser sich verstanden und abgeholt fühlt. Textbausteine sind hier ebenso wenig hilfreich, wie das sture Verweisen auf klassische Supportkanäle.  Auf der anderen Seite ist ein souveräner Umgang mit Störenfrieden, Trollen und anderen unangenehmen Zeitgenossen notwendig und wichtig. Die Betonung liegt dabei auf souverän, denn in dieser Disziplin haben sich eine Reihe von Community Managern formiert, deren Fokus eher darauf liegt, Nutzer möglichst lustig bloßzustellen oder zu diffamieren. Meiner Meinung nach eine sehr unangenehme Entwicklung. Warum? Was hier bei einem Teil der Zielgruppe gut ankommt, hat für andere einen extrem fahlen Beigeschmack. Dabei ist es gar nicht so schwer souverän zu kommunizieren, ohne dafür unter die Gürtellinie zu gehen. 

Was ist ein Community Manager?

Die Position des Community Managers (w/m/d) ist die zweite zentrale Funktion für das Social Media Engagement eines Unternehmens bzw. einer Organisation. Der Community Manager führt direkten Dialog mit den Anspruchsgruppen und ist Gesicht und Sprachrohr für seine Organisation. Gleichzeitig nimmt er die Rolle als Anwalt und Vertrauensperson der Community ein. Der Aufgabenschwerpunkt des Community Managers liegt auf dem plattformübergreifenden Dialog mit den Anspruchsgruppen seines Arbeitgebers. Dabei ist dieser für den gesamten Prozess von Auf- und Ausbau über die stetige Aktivierung bis hin zu Beobachtung und Auswertung zuständig.

Unter der Gürtellinie und Arroganz ist schwierig

Seit dem Hype um möglichst bissiges Community Management, gibt es Sätze auf offiziellen Unternehmens- und Organisationsseiten, die weit unter die Gürtellinie gehen. Die unten aufgeführten Beispielsätze habe ich dabei leider schon so, oder sinngemäß so, lesen müssen.

Herablassende Antworten
Antworten, die dem Nutzer klar vermitteln, dass der Community Manager diesen für dumm, faul oder ähnliches hält.
Beispielsätze: „Da hast Du wohl nicht richtig aufgepasst.“ „Wenn Du Dir die Mühe gemacht hättest mal XYZ zu lesen…“ „Das sieht vielleicht aus Deiner Perspektive so aus“ „Kein Wunder, dass Du das nicht verstehst“ „Mit jemandem wie Dir..

Persönlich werden

Hier verlässt der Community Manager die sachliche Ebene, um den Nutzer zu diskreditieren und/oder greift diesen persönlich an.

Beispielsätze: „Wenn ich mir Dein Profil so ansehe…“ „Bei Deiner Rechtschreibung….“ „Kein Wunder das jemand wie Du…“

Die Gratwanderung – Ironie und Sarkasmus

Nicht jeder versteht Ironie und Sarkasmus, das macht so manchen Scherz zu einem gefühlten Angriff. Um die Zwischentöne zu verstehen, benötigt der Mensch Empathie und „Theory of Mind“, also „die Fähigkeit, psychische Zustände wie Gefühle und Gedanken anderen Personen und sich selbst zuzuschreiben“. (Quelle und mehr dazu hier) Bevor ein Community Manager sich dieser Stilmittel bedient, sollte er stets prüfen, ob sein gegenüber (und die Zielgruppe) diese Spielart der Kommunikation auch versteht. Sonst haben Ironie und Sarkasmus einen ähnlich diffamierenden Effekt, wie die bisher genannten Punkte.

Was passiert wenn Marken so mit ihren Nutzern sprechen?

Alle diese Szenarien haben gemeinsam, dass sie dem Nutzer in irgend einer Weise Unzulänglichkeiten unterstellen und/oder diesen öffentlich Abwerten. Das mag ja teilweise gefühlt gerechtfertigt sein, es passieren aber gleich mehrere Dinge:

  1. Ein Teil der Nutzer wird sich darüber amüsieren. Natürlich, Menschen sind schadenfroh – zumindest solange es nicht sie persönlich, oder jemanden nahestehendem aus dem eigenem Umfeld betrifft. Das Resultat sind hier Likes und Co.
  2. Der angesprochene Nutzer wird wütend oder betrübt oder noch mehr dazu motiviert dem Community Management das Leben schwer zu machen.
  3. Für den Teil der Nutzer, die nicht mit Schadenfreude reagieren verliert das Unternehmen / die Marke an positiver Wahrnehmung. Warum? Stellt Euch einfach mal vor, dass Ihr in einem Restaurant mitbekommt, wie der Kellner mit dem Kunden am Nebentisch auf diese Art und Weise spricht. Das führt bewusst oder unterbewusst dazu, dass Mensch die beobachtete Situation auf sich überträgt und sich fragt, ob er auch so behandelt werde möchte.  Die Antwort auf diese Frage wird in der Regel „Nein“ heißen, auch wenn diese Art der Behandlung in manchen Regionen eine gewisse Kultur hat (Hallo Berlin ;)). Je emotionaler das Thema und je höher die Identifizierung der Zuschauer mit dem „Opfer“, desto größer ist dabei der Imageverlust. (Ich weiß dieser ist manchen Unternehmen völlig egal, weil die Rotzigkeit fester Bestandteil der Strategie ist.)
  4. Im Kontext von Krisenkommunikation erreicht der Community Manager mit einem solchen Verhalten eine Verhärtung der Fronten. Der Angegriffene fühlt sich in seiner Meinung nur bestätigt und bekommt durch die Opferrolle auch noch die Möglichkeit, diese ein Stück weit Glaubwürdiger in seinen Kreisen zu verbreiten (Schaut, die machen sich doch nur über uns lustig).
  5. Das Niveau sinkt. Community Manager haben eine Vorbild-Rolle in der Community. Fangen diese an auf unflätige Art und Weise mit ihren Nutzern umzugehen, ist es nicht verwunderlich, wenn die Nutzer im gleichen Ton nachziehen. Das führt zu weniger Niveau, was die Hemmschwelle für „gute Nutzer“ steigert, sich aktiv einzumischen.
  6. Ein lustig sein „auf Teufel komm raus“, führt insbesondere auf Facebook dazu, dass unflätige und wenig sinnvolle Kommentare in den Vordergrund rücken. Wieso? Ganz einfach Facebook sortiert die Kommentare nach vermeintlicher Relevanz, wird also ein Kommentar möglichst lustig beantwortet und bekommt dafür Likes, wandert dieser automatisch unter die ersten beiden Kommentare pro Beitrag, die im Newsfeed angezeigt werden. Diese Kommentare repräsentieren für die Mehrheit der Nutzer dann das Niveau der jeweiligen Seite.

In der Regel geht es dem Community Manager um Punkt Eins, wenn er über das Ziel hinaus schießt, er sollte sich aber auch immer fragen, ob es sich dafür lohnt, Punkt Zwei bis Sechs in Kauf zu nehmen.

Schnodderige Markenkommunikation mit Methode

Es gibt Marken, die konsequent in einer Tonalität kommunizieren, für die so manche Oma früher ihrem Enkel den Mund mit grüner Seife ausgewaschen hätte. Zum Glück sind die Zeiten vorbei, diese schnodderige Art bleibt aber Geschmacksache. Es funktioniert bei einer jungen, hippen Zielgrutruefruitsppe und mit der Attitüde, dass die Menschen sowieso kaufen. Also wären wir wieder bei Berlin (Ich habe nichts gegen die Stadt, ehrlich, ich bin sogar sehr gern dort zu Besuch ;)). Einer der Inbegriffe dieser Kategorie ist wohl true fruits Smoothies. Frech, Fruchtig und teilweise eben auf dem ganz schmalen Grad zwischen frech und unverschämt. Das aber konsequent in der gesamten Kommunikation, was auch schon das eine oder andere Mal mit einem Shitstorm beantwortet wurde. Wer hier eine dumme Frage stellt, bekommt auch eine Dumme Antwort, was auch dazu führt, dass die Nutzer teilweise aus genau diesem Grunde Fragen stellen.Insgesamt also Kommunikation die polarisiert, was ja auch ein Ziel sein kann, denn so bleibt man im Gespräch.

Emphatischer Dialog auf Augenhöhe

Eines der älteren Paradebeispiele ist hier der Dialog der Bahn mit einer Nutzerin, die die „Beziehung“ beenden möchte (siehe Galerie 1). Für mich persönlich ein Beispiel dafür, wie Community Management sein sollte – authentisch, emphatisch und, wenn es passt, mit einem kleinen Augenzwinkern. Der Mitarbeiter spiegelt die Ansprache der Kundin perfekt und geht in der gleichen Tonalität auf ihr Anliegen ein. 

Ähnlich verhält es sich bei dem humorvollen Schlagabtausch zwischen Netflix und einem Kunden (siehe Galerie 2). Der Community Manager verwandelt den Dialog in ein fiktives Beziehungsgespräch mit hohem Unterhaltungswert für Außenstehende. Die Reichweite, die dieser Dialog durch Blogbeiträge und Online-Magazine bekommen hat, liegt bestimmt im sechsstelligem Bereich.

Souverän ist – sich selbst nicht so ernst nehmen

Besonders sympathisch finde ich persönlich immer die Kommentare, bei denen Marken, oder die Community Manager selbst, durch pointierte Antworten zeigen, dass sie sich selbst nicht so ernst nehmen. Diese Art der Kommunikation hat eine höchst souveräne Wirkung und zeigt dem Gegenüber und der Community gleichzeitig, dass man emphatisch reagieren kann. Die Beispiele von Lidl und BVG hier, sind jeweils auf ihre eigene Art und Weise charmant.
lidl BVG

 

 

Manchmal ist es auch einfach besser die Klappe zu halten

sparkasseJa, es gibt Sie die Situationen, in denen sich ein Community Manager bewusst dafür entschließen sollte, einfach mal nichts, oder wenn überhaupt nur das nötigste zu sagen. Dieser Moment kommt immer dann, wenn das Gegenüber offensichtlich nicht an einem Dialog und/oder Hilfe interessiert ist. Persönlich empfehle ich die Frage „Hat es einen Mehrwert für den Nutzer oder Außenstehende, wenn ich mich auf einen Dialog einlasse bzw. diesen weiterführe?“. Lautet die Antwort zwei Mal nein, wird erst einmal nicht weiter reagiert. Ein schönes Beispiel gibt es hier von der Sparkasse, die mit einer Katze den Trollversuch der Seite „Tattoofrei“ beendete und danach auch nicht weiter darauf einging.

Es gibt noch eine weitere Situation, in der es für einen Community Manager wichtig ist, die eigene Antwort noch ein wenig zurück zu halten. Geht das Gegenüber unter die Gürtellinie, greift einen persönlich an, oder geht es um ein Thema, auf das die eigene Reaktion sehr emotional ist, ist es wichtig sich selbst vor einer Antwort „abzuregen“. Hier hilft es wirklich, einmal um den Block zu gehen, sich eine schöne Tasse Kaffee oder Tee zu holen und auf andere Gedanken zu kommen. Außerdem sollte man einen Kollegen über die eigene Antwort schauen lassen. Mit ein wenig Distanz wirkt diese nämlich noch ein wenig anders. Und in manchen Fällen stellt man auch in solchen Situationen fest, dass keine Antwort vielleicht doch die bessere Variante ist.

Muss ich mich nun wirklich mit jedem Idioten da draußen befassen?

Die Antwort ist hier ganz klar „Nein!“ und das ist einer der wichtigsten Punkte. Wenn Ihr auf einen Störenfried reagiert und sei es nur, um diesem einen „reinzudrücken“, verschafft Ihr diesem damit zusätzliche Aufmerksamkeit. Deswegen überlegt immer ganz genau, welchen Mehrwert es hat, wenn Ihr auf einen unqualifizierten / unflätigen oder schlicht doofen Kommentar antwortet. Ein Sonderfall in dieser Konstruktion sind Beschwerden, insbesondere die gerechtfertigten, die sich in Schimpftiraden verstecken. Im Eifer des Gefechts kann ein Kunde hier schon einmal verbal entgleisen. Hier gilt es unbedingt eine Ausnahme von der gespiegelten Ansprache zu machen 😉 In einem ersten Schritt solltet Ihr ganz freundlich und souverän auf das Kernproblem eingehen und dem Kunden Eure Hilfe anbieten. Danach kommt es sehr stark auf die Situation an. Will der Kunde eigentlich keine Hilfe, sondern schlicht meckern, reicht ein zweiter Hinweis auf Euer Hilfsangebot und das folgende beobachten des Kommentarstrangs. In der Regel diskreditiert die Person sich selbst, wenn weiter geschimpft wird.

Fazit

Wirklich gute Community Manager gehen nicht nur dann in einen Dialog, wenn konkrete Anfragen an sie heran getragen werden, sondern identifizieren aktiv Gesprächsanlässe. Sie führen Gespräche mit Ihren Nutzern und werden Teil der Community. Wer eine schnodderige Tonalität im Community Management umsetzten möchte, sollte sich ganz genau Fragen, ob diese Art der Kommunikation zur Marke und der Zielgruppe passt und sich mit den Vor- und vor allem den Nachteilen dieser Kommunikationsspielart beschäftigen. Hört dabei auch immer auf das Feedback aus der Community selbst. Wie reagiert diese auf die jeweiligen Steilvorlagen, wie verändert sich die Tonart sowohl innerhalb der Community, als auch gegenüber des Community Managements. Darüber hinaus gilt – in Maßen und in der richtigen Situation eingesetzt, wirkt immer besser als krampfhaft nach Anlässen zu suchen.

Welche guten und schlechten Beispiele von Marken kennt Ihr? Ich möchte diesen Artikel gerne laufend weiter um Beispiele ergänzen und freue mich auf sachdienliche Hinweise 🙂

UPDATE

Ich habe in Rahmen des BVCM eine Erweiterung für diesen Artikel geschrieben, in dem ich außerdem auf die gesellschaftlichen Konsequenzen dieser Art der Kommunikation, sowie Clickbaiting eingehe. Ihr findet den Beitrag hier.